Fritz Stern  

Preisträger 1999

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Der Tagesspiegel
vom 18. Oktober 1999

Verleihung des Friedenspreises an Fritz Stern

Was blühen kann in der Berliner Republik - Auszüge aus der Rede des amerikanischen Historikers

Auschwitz wird für alle Zeiten der Ort der Unmenschlichkeit bleiben. Aber am Ende des Jahrhunderts eröffnet sich Deutschland eine zweite Chance - wenn die nationale und die europäische Einheit glückt

Fritz Stern

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Diese Feier ist die letzte in diesem Jahrhundert und die erste in der neuen Berliner Republik. Unvermeidlich stoßen wir auf Vergangenheit und Gegenwart: Sie sind untrennbar. Es gibt kein Ende der Geschichte, auch keinen Schlussstrich, keinen völlig neuen Anfang. Trotzdem begrüße ich die neu proklamierte Berliner Republik mit großem Vertrauen und mit kleinem Unbehagen. Die ersten 50 Jahre der Bundesrepublik rechtfertigen das Vertrauen. Das Unbehagen entspringt der Benennung: Warum müssen deutsche Demokratien durch Städte begrenzt oder identifiziert werden: Weimar, Bonn, Berlin. Damit wird die unerwünschte Diskontinuität nur unterstrichen. Warum nicht endlich eine deutsche Demokratie, wie so manche sie sich hier in der Paulskirche gewünscht und für die so viele später gekämpft haben? In seiner bewegenden Rede am 17. Juni 1988 hat der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, den Wunsch nach "leisen Tönen" geäußert, leisen Tönen für die deutsche Frage. Berlin ist für vieles bekannt, doch nicht gerade für leise Töne.

Wir leben heute im Zeichen einer Erinnerungskultur, in der die Erinnerungen Einzelner ebenso wie öffentliche ritualisierte Erinnerung einen wichtigen Platz einnehmen. In den 80er Jahren begann eine Welle von Erinnerungstagen, die die Schreckenszeiten ins Gedächtnis riefen. Die Rede von Bundespräsident Weizsäcker am 8. Mai 1985 war eines der eindrucksvollsten Plädoyers, der Opfer deutscher Gewalt zu gedenken. "Schonung unserer Gefühle durch uns selber oder durch andere hilft nicht weiter." Der Generationswechsel kommt hinzu: Die Menschen, die noch die volle Wucht extremer Zeit erlebt haben, treten ab und wollen doch noch Zeugnis ablegen, auch stellvertretend für diejenigen, die als stumme Opfer aus dem Leben scheiden mussten. Die 100 Millionen Europäer, die in diesem Jahrhundert einem unnatürlichen Tode verfallen sind, bleiben in unserem Gedächtnis.

Erinnerung und Historie sind verwandt und doch tief verschieden. Erinnerung klammert sich an symbolhaltiges Geschehen, ein Bild aus der Vergangenheit haftet in uns. Erinnerung mag mächtig und kann doch ungenau sein, sie hält uns wach, aber führt uns nur an die Schwelle von historischem Verständnis. Erinnerung ist keine erforschende Rekonstruktion der Vergangenheit. Es könnte sein, dass eine nur erinnerte Vergangenheit als Ersatz-Vergangenheit ein ahistorisches Zeitalter in ihrem Bann hält.

Die Frage "Warum?"

Unvermeidlich, dass Auschwitz für alle Zeiten als ein Ort deutscher Unmenschlichkeit, des unvorstellbar Bösen bleiben wird. In der für mich überzeugendsten und bewegendsten Darstellung, in Primo Levis "Ist das ein Mensch?", gibt es eine Erinnerung an seinen ersten Tag in Auschwitz, die mir wie ein Mahnmal für alle Zeiten erscheint. Levi schildert den grauenvollen Transport im Viehwagen mit quälendem Durst und fährt fort: "Durstig wie ich bin, sehe ich vom Fenster in Reichweite einen schönen Eiszapfen hängen. Ich öffne das Fenster und mache den Eiszapfen ab, doch gleich kommt ein großer und kräftiger Kerl, der draußen herumging, und reißt ihn mir mit Gewalt aus der Hand. ,Warum'? frage ich in meinem beschränkten Deutsch. ,Hier gibt es kein Warum', gibt er mir zur Antwort und treibt mich mit einem Stock zurück."

Dieses "Hier gibt es kein Warum" ist die Verachtung alles Menschlichen, die verbale Vernichtung. Das "Warum" ist die existenzielle Frage, die jeder Mensch an seinen Gott oder an sein Schicksal richtet. Verbietet man die Frage, verweigert man die Antwort - dann bescheinigt man dem Menschen sein Nicht-Sein, seine absolute Rechtlosigkeit.

Wir können ahnen, mit welchen Herausforderungen Europa in den nächsten Jahren konfrontiert werden wird. Das neue Deutschland als das mächtigste Land in Europa wird besonders gefordert sein. Die Zeit, da man die Bundesrepublik als wirtschaftlichen Riesen und politischen Zwerg beschreiben konnte, ist längst vorbei - wobei ich mir nicht so sicher bin, ob nicht der politische Zwerg ein sorgsam verkleideter, erfolgreicher Jongleur war. Vor zehn Jahren habe ich von Deutschlands zweiter Chance gesprochen: Am Ende wie am Anfang des Jahrhunderts hat Deutschland die führende Stelle in Europa - am Anfang in einem weltbeherrschenden Europa, am Ende in einem durch deutsche Kriege relativ geschwächten Europa, aber innerlich befreit von den Bürgerkriegen, die seine moderne Geschichte gekennzeichnet haben. Ein Krieg zwischen europäischen Großmächten ist heute undenkbar - zum ersten Mal in der Geschichte. Das Vertrauen auf Frieden hat vieles in der europäischen Mentalität verändert. Alte Tugenden wie zum Beispiel Opferbereitschaft - oft missbraucht in sinnlosem Militarismus - sind verblasst. Gefordert ist Gemeinschaftssinn oder was die Franzosen civisme nennen, wie auch Zivilcourage, jenes Fremdwort im doppelten Sinne im deutschen Bereich. Ob und wie die zweite Chance genutzt werden wird, bleibt offen; ich will mich mit einer kurzen Wunschliste begnügen

Noch einmal und an erster Stelle: die innere Wiedervereinigung, das ist die Vorbedingung für politische Stabilität in der neuen Republik. Von außen sieht es manchmal so aus, als ob die Versöhnung mit anderen Nationen besser gelungen wäre als mit den Teilen der eigenen, ehemals gespaltenen Nation. Der Außenstehende fürchtet eine anhaltende, möglicherweise zunehmende Entfremdung zwischen Bürgern der alten und neuen Bundesländer - trotz eindrucksvollen wirtschaftlichen Fortschritts. Genügt die Versicherung, dass die psychologische Wiedervereinigung "nur" eine Generationsfrage ist? Könnte historische Reflexion hier nicht nützlich sein? Erinnern sich die Bürger der alten Bundesrepublik an ihren eigenen schwierigen Anfang, der aber recht bald mit amerikanischer Hilfe überwunden wurde - während die Bürger der DDR in vieler Hinsicht die Last des verlorenen Krieges tragen mussten? Sie hatten es unverdient schwer. Das Vergangenheitsverständnis in Ost und West war grundverschieden - und auch das vertieft die Entzweiung. Haben die Westdeutschen zu wenig Verständnis für das Selbstbewusstsein von Menschen, von denen man angenommen hat, sie seien Brüder und Schwestern der gleichen Nation und müssten einem in vielem gleichen?

Lernen von den Buddenbrooks

Man mag an Familienuneinigkeit erinnert sein, und ein literarischer Vergleich kommt mir in den Sinn. In Thomas Manns "Buddenbrooks" werden die Brüder Thomas und Christian als tief verschieden geschildert: Aus Abscheu und aus Angst vor Ansteckung verschanzen sie sich immer mehr in ihrer Eigenart. Schließlich ruft Thomas dem Bruder zu: "Ich bin geworden, wie ich bin, weil ich nicht werden wollte wie du. Wenn ich dich innerlich gemieden habe, so geschah dies, weil ich mich vor dir hüten muss, weil dein Sein und Wesen eine Gefahr für mich ist . . . ich spreche die Wahrheit."

Die Entfremdung wächst. Natürlich hat Wolfgang Thierse mit Recht gesagt, dass viele Ostdeutsche ein richtiges Leben im falschen System geführt haben. Sie pflegten in der Tat andere Tugenden, sie waren vielleicht deutscher als die drüben, die sich so schnell und mit so viel Hingabe amerikanisiert haben. Aber das darf nicht dazu führen, dass sie in Abscheu vor einem oberflächlich verstandenen westlichen Stil ihre Eigenart verklären: das einfache, wenn auch unfreie Leben, im Gegensatz zum freien und hektischen Leben des westlichen Kapitalismus - und schon gar nicht dazu, dass sie den Wert demokratischer Freiheit erneut vergessen. Auch hatte Jens Reich Recht, wenn er in seinem Buch "Abschied von Lebenslügen" schrieb: "Wir müssen die Heulnischen verlassen."

Es ist oft gesagt worden, dass man auch von den Erfahrungen der DDR hätte lernen können, dass die Wiedervereinigung auch Neubesinnung in den alten Ländern hätte erwecken können. Auch gibt es hervorragende, ja beneidenswerte Beispiele politischer Führung in den neuen Bundesländern, die Außenwelt hofft, dass sie Verständnis finden und Beistand bekommen in ihrem Kampf gegen Kriminalität, gegen anti-demokratische Strömungen ganz gleich welcher Couleur. Ich weiß, dass es politische Kriminalität mit braunen Vorzeichen auch in Amerika gibt, dass die nationalsozialistische Rassenpropaganda jetzt aus Amerika nach Deutschland exportiert wird. Das Wort "Skinhead" beweist ja, dass es sich um ein allgemeines Phänomen handelt, eine Kehrseite der offenen Gesellschaft.

Das Privileg, Bürger zu sein, ist recht jung. Vor genau hundert Jahren hat Theodor Mommsen, der erste und außer Winston Churchill der einzige Historiker, der den Nobelpreis für Literatur erhielt, in seinem Testament festgehalten: "Politische Stellung und politischen Einfluss habe ich nie gehabt und nie erstrebt; aber in meinem innersten Wesen, und ich meine, mit dem Besten, was in mir ist, bin ich stets ein animal politicum gewesen und wünsche ein Bürger zu sein. Das ist nicht möglich in unserer Nation, bei der der Einzelne, auch der Beste, über den Dienst im Gliede und den politischen Fetischismus nicht hinauskommt. Diese innere Entzweiung mit dem Volke, dem ich angehöre, hat mich durchaus bestimmt, mit meiner Persönlichkeit, soweit mir dies irgend möglich war, nicht vor das deutsche Publikum zu treten, vor dem mir die Achtung fehlt." Mit welchen Opfern mussten im Laufe des Jahrhunderts die Rechte des Bürgers erkämpft - jetzt müssen sie geübt werden. Ein berühmter deutscher Philosoph soll sich beklagt haben, dass seine Lebensgefährtin so viel redet, dass er nicht zum Denken kommt. Worüber redet sie denn, wurde er gefragt. Das sagt sie nicht, war die Antwort. Das kann auch jedem Sonntagsredner passieren. Die politische Klasse hat viel an Glaubwürdigkeit verloren: Sie reden zu viel und sagen zu wenig. Abraham Lincoln hatte Recht: "Man kann alle Menschen für kurze Zeit täuschen, man kann einige für immer täuschen, aber man kann nicht alle für immer täuschen." Die Völker Osteuropas haben sich gegen ideologische Täuschung gewehrt, das Recht "in der Wahrheit zu leben" erkämpft. Es gab schon einmal ein Europa der Demokratien - unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg; sie zerbrachen sehr schnell. Die Lage ist heute viel günstiger, aber Vertrauen auf Immunität vor Gefahren wäre trügerisch. Die Utopien von gestern - Bolschewismus und Faschismus - waren Drogen des politischen Betäubens; die Privatisierung der Drogen ist kein Gewinn.

Die liberale Demokratie ist stets gefährdet. Selbst im Wohlstand taumeln wir von einer Finanzkrise in die andere, und niemand kann garantieren, dass der globalisierte freie Markt nicht eines Tages in eine Krise stürzt, die neues Elend verbreitet und zu falschen Heilmitteln wie Illiberalismus und Protektionismus führen könnte. Jegliche Form von Verunsicherung begünstigt Extremismus und Kriminalität; solche Zustände verleiten Menschen zum Glauben an die Notwendigkeit autoritärer Führung. Ralf Dahrendorf hat mit Recht bemerkt, dass es "unsere Aufgabe ist, Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt und politische Freiheit in Einklang zu bringen", eine Aufgabe, die der Quadratur des Kreises gleich käme. Wenn Wettbewerbsnotwendigkeit sozialen Zusammenhalt weiter schwächt, dann ist auch die Freiheit in Gefahr.

Die Kerkerblume Freiheit

Durch den Nationalsozialismus entbrannte meine Liebe zur Freiheit als einem menschlichen Gut, als Vorbedingung aller anderen Güter. Heine hatte Recht: "Freiheitsliebe ist eine Kerkerblume", ich wünschte trotzdem, sie könnte überall blühen.

Ich konnte mich von dem Drama der deutschen Geschichte nicht lossagen, es hat meine Arbeit mitbestimmt. Es war kein leichter Prozess, mein neues Engagement mit deutschen Dingen. Ich musste selbst eine Art "Denazifizierung" durchmachen, das heißt die Überzeugung gewinnen, dass deutsche Geschichte nicht aus der Perspektive von 1945 allein beurteilt werden kann. Aber die Erinnerung an Menschen aus meiner Kindheit, die sich schon damals für ein freiheitliches Deutschland eingesetzt hatten, kam zur Hilfe. Der Aufbau des Nachkriegs-Deutschland kam nicht ex nihilo. Mit Recht hat man sich auf alte, wenn auch schwache Traditionen berufen. Ich habe mich in den letzten Jahrzehnten immer mehr mit deutschen Dingen beschäftigt, aber auch Distanz gehalten - um Gefahren klarer zu sehen und gelegentlich vor ihnen zu warnen.

Für mich bleibt das deutsch-amerikanische Verständnis ein Gebot der Geschichte, der Politik und des eigenen Lebens. Ich bin Bürger eines Landes, aber meine Liebe gehört zwei Sprachen, gleich gefährdet, einer alten Kultur, gleich vernachlässigt. Mein Dank gehört dem Land, in dem meine Kinder und Enkelkinder in Freiheit aufwachsen konnten, und dass ich diesen Dank klar empfinde, dass ich Freundschaft als lebenswichtiges Geschenk erlebe, das verdanke ich dem Land, das mich einst verstoßen hat und mit dem ich neu verbunden bin.

 

 

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Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

1950 Max Tau
1951 Albert Schweitzer
1952 Romano Guardini
1953 Martin Buber
1954 Carl J.Burckhardt
1955 Hermann Hesse
1956 Reinhold Schneider
1957 Thornton Wilder
1958 Karl Jaspers
1959 Theodor Heuss

1960 Victor Gollancz
1961 Sarvepalli Radhakrishnan
1962 Paul Tillich
1963 Carl Friedrich von Weizsaecker
1964 Gabriel Marcel
1965 Nelly Sachs
1966 Augustin Bea und Willem A. Visser't Hooft
1967 Ernst Bloch
1968 Leopold Sedar Senghor
1969 Alexander Mitscherlich

1970 Alva und Gunnar Myrdal
1971 Marion Graefin Doenhoff
1972 Janusz Korczak
1973 The Club of Rome
1974 Frere Roger
1975 Alfred Grosser
1976 Max Frisch
1977 Leszek Kolakowski
1978 Astrid Lindgren
1979 Yehudi Menuhin

1980 Ernesto Cardenal
1981 Lew Kopelew
1982 George F.Kennan
1983 Manes Sperber
1984 Octavio Paz
1985 Teddy Kollek
1986 Wladyslaw Bartoszewski
1987 Hans Jonas
1988 Siegfried Lenz
1989 Vaclav Havel

1990 Karl Dedecius
1991 Gyoergy Konrad
1992 Amos Oz
1993 Friedrich Schorlemmer
1994 Jorge Semprun
1995 Annemarie Schimmel
1996 Vargas Llosa
1997 Yasar Kemal
1998 Martin Walser
1999 Fritz Stern

Quelle bis 1995: arabische Broschuere des Islamischen Informationsdienstes Bonn e.V.

 


 

1992 Amos Oz

1939 in Jerusalem geboren, studierte Literatur und Philosophie, trat 1954 dem Kibbuz Chulda bei und arbeitete dort als Schriftsteller, Lehrer und in der Landwirtschaft. Seit 1986 lebt Oz in Arad in der Negev-Wueste und ist als Professor fuer Hebraeische Literatur in der Ben-Gurion-Universitaet des Negev in Beer-Sheva taetig. Seine Romane und Erzaehlungen, deren Gesamtauflage auf 2,5 Millionen geschaetzt wird, sind in 25 Sprachen uebersetzt worden, die meisten davon auch ins Deutsche. Sein bisher einziges Kinderbuch Sumchi, 1978, erschien 1993 in deutscher Uebersetzung im Hanser-Verlag. Oz hat sich in zahlreichen Aufsaetzen ueber den israelisch-arabischen Konflikt geaeussert und fuer eine friedliche Loesung zwischen Israelis und Palaestinensern ausgesprochen. Er ist Mitbegruender der Friedensbewegung Schalom achschaw: Frieden jetzt. 1997 ist im Suhrkamp-Verlag Dem Tod entgegen erschienen.
Quelle: Haus der Kulturen der Welt, Berlin, Maerz/April 1997.

 


 

1997 Yasar Kemal

Der 74jaehrige Autor kurdischer Abstammung habe sich als "Anwalt der Menschenrechte" selbstlos fuer Arme, Ausgebeutete und aus politischen oder ethnischen Gruenden Verfolgte eingesetzt, begruendete der Boersenverein des Deutschen Buchhandels seine Entscheidung. Nach der Zuerkennung des Preises appellierte Kemal in Istanbul an die Deutschen, die in ihrem Land lebenden Tuerken und Kurden nicht mehr als Auslaender zu betrachten, sondern als kulturelle Bereicherung zu akzeptieren.
Kemal, der mit seinem 1955 erschienenen Erstlingswerk "Memed, mein Falke" schlagartig beruehmt wurde, hat wiederholt Kritik am tuerkischen Regime und seiner Kurdenpolitik geuebt und verbuesste wegen seines Engagements fuer die marxistische "Tuerkische Arbeiterpartei" mehrere Haftstrafen. Die mit 25.000 Mark dotierte Auszeichnung nimmt er am 19.Oktober entgegen. (dpa)
Quelle: Koelner Stadt-Anzeiger, 16.Mai 1997, Seite 20

 


 

1998 Martin Walser

Kein ernst zu nehmender Mensch leugnet Auschwitz, kein noch zurechnungsfaehiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpraesentation unserer Schande wehrt. Zitiert nach Koelner Stadt-Anzeiger, 10.November 1998, Seite 20.

 


 

1999 Fritz Stern

Frankfurt - Der Historiker Fritz Stern hat am Sonntag in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. An dem Festakt in der Paulskirche nahmen zahlreiche Ehrengaeste aus Politik, Gesellschaft und Kultur teil, darunter Bundespraesident Johannes Rau, die Bundesminister Joschka Fischer, Hans Eichel und Otto Schily sowie Kulturstaatsminister Michael Naumann.

Die mit 25.000 Mark dotierte Auszeichnung, in diesem Jahr zum 50. Mal vergeben, wurde Stern fuer sein Lebenswerk zuerkannt. Der 73-jaehrige Amerikaner mit deutsch-juedischen Wurzeln gilt als einer der bedeutendsten zeitgenoessischen Historiker.

Mit seinen zahlreichen Buechern und Aufsaetzen hat Stern dem "Frieden gedient, indem er Bruecken des Verstaendnisses zwischen den Zeiten und den Voelkern errichtete", befand die Jury. Er habe die "stets umstrittene historische Praesenz der Juden in der deutschen Politik, Wirtschaft und Kultur und Wissenschaft" ausgewogen dargestellt und zu Gegenwartsfragen immer wieder wegweisend Stellung bezogen.

In seiner Laudatio nannte ihn der polnische Aussenminister Bronislaw Geremek einen gleichermassen hervorragenden Historiker wie vortrefflichen Schriftsteller. "Stern ist ein Historiker, der auf eine besondere Weise teilnimmt", sagte der Politiker, "er moechte verstehen, aber nicht rechtfertigen." Er habe den Preistraeger "nicht nur als einen Historiker von grosser Gelehrsamkeit" kennen gelernt, sondern schaetze ihn auch "als einen weisen, grossartigen Menschen".

Zuvor hatte der Vorsteher des Boersenvereins des Deutschen Buchhandels, Roland Ulmer, Sterns Wirken gewuerdigt. Stern habe gezeigt, "dass ein Historiker wissenschaftliche Forschung mit hoher Erzaehlkunst und politischem Engagement verbinden kann", sagte er.

Vor den Nazis geflohen

Der 1926 in Breslau geborene Stern war als Zwoelfjaehriger im Jahre 1938 mit seinen Eltern vor den Nationalsozialisten in die USA geflohen. Dort nahm er 1947 die amerikanische Staatsbuergerschaft an. Stern lebt in New York, wo er an der Columbia University als Professor lehrt. (AOL/dpa)

 


 

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Fischer-Weltalmanach 1999

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Fritz Stern
17.10.1999

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1999 wird am 17. Oktober in der Frankfurter Paulskirche dem Historiker Fritz Stern überreicht.

In der Begründung des Friedenspreis-Stiftungsrats heißt es: »Der Buchhandel ehrt den US-Historiker, der seit langem die schwierige Geschichte Deutschlands, seines Geburtslandes, aus dem er vertrieben wurde, erforscht, erklärt und darlegt. Er hat dem Frieden gedient, indem er Brücken des Verständnisses zwischen den Zeiten und den Völkern errichtete und hat die stets umstrittene historische Präsenz der Juden in der deutschen Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft in seinem Lebenswerk ausgewogen dargestellt. Zu Fragen der deutschen Gegenwart hat er immer wieder wegweisend Stellung genommen«.
Der 1926 als Sohn jüdischer Eltern in Breslau geborene Fritz Stern emigrierte 1938 in die USA und ist seit 1947 US-Bürger. Seit seiner Promotion zum Doktor der Philosophie an der New Yorker Columbia University lehrt er Geschichte, u.a. in Yale und Columbia sowie als Gastprofessor in Konstanz und Berlin. Zu seinen Büchern zählen »Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder«, »Der Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht. Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert«, »Verspielte Größe. Essays zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts« und »Das feine Schweigen. Historische Essays«.
Der heute mit 25.000 DM dotierte Friedenspreis wird seit 1950 jährlich von einer Stiftung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main einer Persönlichkeit verliehen, die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat.

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Fritz Stern: Historiker und Wanderer zwischen den Welten

Porträt von Jacques Schuster

Fritz Stern ist ein Virtuose des Leisen und Diskreten, ein Mittler zwischen Amerika und Deutschland
Es gibt nur noch wenige Vertreter der "Deutschlandpartei" in Amerika, jener deutschen Emigranten in den Vereinigten Staaten, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, und doch - trotz allem - immerfort den Blick über den Atlantik richten. Mehr als das: Die beständig und auf allen ihnen zugänglichen Ebenen dafür sorgen, dass sich Amerika, die zur Binnensicht neigende Supermacht, mit dem Land zwischen Elbe und Oder beschäftigt. Sie, die Politiker und Diplomaten, die Wissenschaftler, Publizisten und Künstler deutscher Herkunft, haben mehr für das Verhältnis beider Länder getan als Männerfreundschaften zwischen Regierungschefs, Konferenzen oder Stipendienprogramme zu leisten vermögen. Ihr langsames Verschwinden macht sich schmerzhaft bemerkbar. Auf lange Sicht wird ihr Fehlen die Beziehungen beider Staaten gewiss beeinträchtigen. Noch freilich gibt es einige dieser Wanderer zwischen den Welten. Der Historiker und diesjährige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, Fritz Stern, ist einer von ihnen.

Der 1926 in Breslau geborene, als Zwölfjähriger aus Deutschland vertriebene Stern kommt aus einem Land, "das nicht mehr existiert und nie mehr existieren wird", wie er oftmals betont. Die Ursache für diesen Untergang, für das "Scheitern illiberaler Politik", für den "Nationalsozialismus als Versuchung", für den "Deutschen Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht" (alles Titel seiner Bücher) haben ihn sein Leben lang umgetrieben. Für sich ganz allein wollte er erklären, woran es lag, dass es zur Katastrophe kam und aus dem zwanzigsten kein deutsches Jahrhundert wurde. Dieses unermüdliche, im eigenen Schicksal wurzelnde Forschen nach den Gründen haben Werke entstehen lassen, die den großen Bogen vom 19. Jahrhundert zur Moderne spannen und darlegen, warum das einst so lebendige, blühende Reich in den Abgrund geriet. Dieses Mit-der-Geschichte-Verwoben-sein hat auch dazu geführt, dass seine Studien einen Grad von Feingefühl erreichen, den kaum ein Geschichtsbuch unserer Tage sein eigen nennt.

Die meisten historischen Werke gleichen mächtigen Sandhaufen. Sie sind materialgewaltig, doch formlos, rinnen gleichsam beim Lesen davon. Sterns Arbeiten hingegen leben von ihren Thesen, der gelassenen Zuspitzung, dem umsichtigen Gestalten. Zudem sind sie voller Sprachmusik, stark und farbensatt. Niemals beschäftigt sich Fritz Stern mit Strukturen. Er lässt Personen und deren Schicksal zu Wort kommen, um sie - wie es in Goethes "Dichtung und Wahrheit" heisst - in ihren "Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihnen das Ganze widerstrebt, inwiefern es sie begünstigt, wie sie sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet und wie sie diese wieder nach außen abgespiegelt" haben.

Gleich in seinem ersten großen Werk, "Kulturpessismus als politische Gefahr", aus dem Jahr 1961, befolgte er dieser Regel mit großer Intensität. Anhand dreier Publizisten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik zeichnet Stern Zeitgeist und Stimmung jener ersten Dekaden des Jahrhunderts nach. Er hebt Strömungen hervor, die in den Nationalsozialismus mündeten und unter dem Begriff Kulturpessimismus zusammengefasst werden können: die Furcht vor einer neuen hochindustrialisierten Zeit, vor Entfremdung und Kapitalismus, der Hass auf Vernunft und Aufklärung, auf Demokratie und Parteienwesen. Für vorhersehbar hält er den deutschen Weg in die Katastrophe dennoch nicht. "Der Triumph des Nationalsozialismus war nicht die Vollendung oder Krönung der deutschen Geschichte - das war die NS-Verfälschung schlechthin - und war auch kein Betriebsunfall oder Zufall: Er war vermeidbar, er hatte seine tapferen Gegner, aber es gab auch vieles in der deutschen Geschichte, das ihn begünstigt hat."

Solch kenntnisreiche Abgewogenheit hat vieles zurecht gerückt und einiges bewirkt - bei Generationen amerikanischer Studenten an der New Yorker Columbia Universität, an der Fritz Stern von 1953 bis 1997 als Professor lehrte, genauso wie bei Lesern, Kollegen und den zahlreichen Politikern, denen Stern, der Virtuose des Leisen und Diskreten, immer wieder beratend zur Seite stand - zuletzt Richard Holbrooke in seiner Zeit als amerikanischer Botschafter in der Bundesrepublik. Ihnen, darunter auch der besorgten Margaret Thatcher nach dem Fall der Mauer, vermittelte er stets, dass sich das Deutschland nach 1945 gewandelt hat und Vertrauen verdient.

Zum Mittler freilich gehört auch der Rat an die andere Seite. Immer wieder erhob der kleine Mann mit den munter blinzelnden Augen in Deutschland die Stimme, um ruhig und nachdenklich auf Dinge hinzuweisen, die in der Binnensicht des Alltags nur von außen zu beobachten sind. Stern mahnt freilich nicht, er gibt zu bedenken, er fragt und beschreibt. Er ist ein Meister der leisen Töne, ohne jegliches stelzbeinige Gehabe, einer, dem bei allen Widrigkeiten des eigenen Schicksals der Wein dieses Lebens schmeckt, ein Freigeist schließlich, für den Liberalismus "die Institutionalisierung des Anstandes" ist und der Anstand und Höflichkeit zu den Maximen seines Lebens machte. Die Deutschen brauchen solche Persönlichkeiten. Auf seine Rede an diesem Sonntag in der Paulskirche können sie gespannt sein.

 


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